DemenZsprechenD

DemenZsprechenD oder sag’ wies’de alt wirst, Alter

ins Werk gesetzt von XXXL ab

A P R I L 2 0 0 9

VORAB ganz KNAPP

Ein alter Mensch ist ein gar schäbig Ding,
ein Mantel, ganz zerfetzt auf einer Stange, außer
es hübe seine Seele an im Takt zu klatschen und zu singen,
so laut und immer lauter überdeckend jeden Riss
in ihrem sterblichen Gewand.

William Butler Yeats


Ja, zuerst war da nur ein Leserbrief, ein stinknormaler, aber wie immer geschrieben mit Herzblut und Wut im Bauch an eine regionale Zeitung. Es ging um wenig oder nichts oder vielleicht doch um das nicht unwichtige Thema vom mangelnden Respekt gegenüber alternden oder alten Menschen - wieder mal einer, der nicht abgedruckt wurde. Dieser erneute Affront, so sah es der Schreiber, weckte in ihm jene Art von kalter Wut, die ihm vertraut war und deren Ausbruch er so fürchtete, weil sie ihn ganz unbeherrscht und steuerlos zurückließ. Andererseits aber folgten auf solche Wutausbrüche doch immer wieder Phasen schneidend scharfen Nachdenkens, die manchmal sogar etwas fruchteten, indem sie zu einem Entschluss führten - das war doch auch schon was.
Im vorliegenden Falle lautete der Entschluss, mit oder ohne Wilhelm Busch, „dass sich im Kopf was ändern muss“. Eine neue, durch keine Äußerlichkeiten begrenzte Freiheit des Denkens war gefragt, die Freiheit, ungehindert hinauszuschreien, was bisher der Angst vor der Gesellschaft da draußen oder auch vor der aus der Rumpelkammer des eigenen Unbewussten aufsteigenden Wut zum Opfer gefallen war.
Das hört sich dramatisch an, nicht wahr, aber so ist es wohl, gerade im alltäglichsten Alltag. Natürlich will ich, schonungslos aber keineswegs verletzend oder beleidigend und die Autonomie anderer möglichst respektierend, das beurteilen, was mich und die Gesellschaft hier und jetzt besonders bewegt, und zwar im Sinne jener Schillerschen „Gedankenfreiheit“, die zwar über die Jahrhunderte arg verblasst ist und auch nur noch von einigen wenigen verstanden wird, die aber trotz aller fortschreitenden Automatisierung individueller und kollektiver Verhaltensweisen immer noch quicklebendig ist. Ja, vielleicht gerade wegen der Automatisierung des modernen Menschen - einer unfreiwilligen Mutation zum homme machine - zum letzten Zufluchtsort des denkenden Individuums geworden ist: G e d a n k e n f r e i h e i t : De-mens wäre also der Geist, der einen letzten freien Schlupfwinkel gefunden hätte!
Nun denn, machen wir uns auf die Suche nach dem abwesenden Geist - - -




Mai 09
WER bin ICH eigentlich und WIE und WARUM ?

Wir werden weder besser noch schlechter aufs hohe Alter hin, sondern lediglich uns selbst immer ähnlicher.
Mary Lamberton Becker

Früher verfasste man, wann immer es sich um die Definition von Grundbegriffen 'Freiheit’ handelte, einen philosophischen Essay oder man führte ein Tage- oder Sudelbuch, in dem man sich solchen Themen zuwandte. Heute schreibt man da einen Blog. Ja, einen Blog, schreib’ einen BLOG, Mann - raten mir schlaue Geister aus jüngeren Generationen. Leicht zu machen und kostenlos obendrein - also verführerisch für einen alten Geizkragen wie mich! Und überhaupt, muss nicht, im Zeitalter grenzenloser Machbarkeit, sogar einer wie ich - technisch total unbedarft, altersarm und ohne Publikationschance, also quasi am Rande der Gesellschaft vegetierend - einen Ort geben, an dem er in einiger Öffentlichkeit seine breiten Bettelsuppen kochen kann?
Vielleicht lässt es sich mit der Sprachkraft des Horoskopisten (oder der Horoskopistin) aber auch so sagen : (Widder, 21.3. – 20.4.) „Verbannen Sie trübe Gedanken vom Hirn aufs Papier. Notieren Sie Punkt für Punkt und ziehen Sie eine Grenze. Dann ist endgültig Schluss mit der Grübelei ...“. Schwer zu sagen, was Ausdrücken wie Punkt für Punkt oder Begriffe wie Grenze bedeuten sollen. Die Vorstellung, dass die Gedanken frei sind und jeder so schreiben können muss, wie ihm der Kopf gewachsen ist, steht immerhin auch hinter dieser Aussage und ist wohl für jedes Alter und in jeder Hinsicht ein beherzigenswertes Leitmotiv, dem man selbst dann folgen sollte, wenn das negative, etwa hämische Be- oder Verurteilung der Früchte unseres Nachdenkens als jämmerlich und wenig lesenswert zur Folge hätte. Dann lest sie halt nicht, ihr Scheißer! würde Gerold Hassknecht, Kultfigur aus der Heute Show, wohl losbrüllen. Man würde sicher liebend gerne dieser verblödeten Gesellschaft, in der man zu leben gezwungen war und ist, an die Gurgel gehen. Aber lohnt es sich, sich deswegen zu echauffieren? Ist nicht die ganze Aufregung doch nachweislich nur schädlich für die Altersgesundheit? Man darf dies ganze Leben, alles das, was da so an einem vorüberflutet, nicht einfach so dicht an sich herankommen lassen. Abstand, Rückzug, das braucht man im Alter.
Vielleicht könnte oder sollte man versuchen, sich mit Hilfe eines jener Teufelsdinger, Handies, Smartphones, Tablets oder wie sie heißen, auf etwas intelligentere Art und Weise in eine virtuelle Welt seiner Wahl zu beamen? Ach, ich weiß nicht, vermutlich würde ich dabei irgendwann bald über die eigenen Füße stolpern und mir etwelche arthritischen Knochen brechen.
Nein, nein, ich bleibe lieber, wenn auch nicht sehr glücklich, in dieser ersten und einzigen realen Welt und lasse meine großen Gefühlsaufwallungen und Depressionsstürme von Psychiatern und anderen Therapeuten besänftigen. Allerdings scheint es mir in den letzten bitteren zwanzig Jahren auch mit ihrer Hilfe nicht gelungen zu sein, mich mit meinem Leben zu versöhnen. Ich weiß noch immer nichts mit diesem ganzen vergangenen Leben anzufangen - da steh' nun, ich armer Tor, und bin so verrückt als wie zuvor.
Diesem selbsternannten armen Tor war ja an erster Stelle nicht einmal die Philosophie genug, also nicht Selbsterkenntnis noch Einsicht in die Entwicklung der Menschheit. Die mag zwar ihre ganz besondere Individualität der von ihr entwickelten Ding- und Maschinenwelt übermacht, also vor dieser kapituliert haben. was aber dann nur bedeuten würde, dass sie sich jede Möglichkeit der Selbst- und Welterkenntnis genommen hätte und nichts wäre als ein verrücktes, aus der Bahn geratenes Wesen, das nicht einmal zu der folgenden Einsicht fähig wäre:

Ein närrischer, rührsel’ger alter Mann bin ich,
Gut achtzig Jahr’, nicht mehr nicht weniger
Und, um’s ganz offen einzugestehen,
Ich fürcht’ ich bin nicht ganz bei Sinnen mehr.

Shakespeare

Vielleicht ist es einfach so: wenn erst mal die Welle über einem zusammenschlägt, dann ist es in der Tat eine Minute nach zwölf. Und dann? Dann gibt es wohl nur noch die Selbstaufgabe, den Sturz in das Dunkel, den Gang durch jene Höllenpforte, über der geschrieben steht: "Ihr, die ihr hier eintretet, lasst jegliche Hoffnung fahren" Da kann wohl das geringste Vorkommnis den Anstoß geben zu einer unumkehrbaren Tat.
Sicher, die Lebensweisen sagen, dass derjenige, der aus der Erfahrung eines langen Lebens sich aufgibt und seinem Leben ein Ende setzt, unverantwortlich handelt. Als ob ein Mensch da noch verantwortlich handeln könnte oder wollte, wo er ganz sicher ist, niemandem mehr etwas verantworten zu haben!
Aber siehst du, so geht das, wenn man sich in irgendwelche hypothetischen Situationen hineinsteigert. Da denkt man bloß an die Möglichkeit eines furchtbaren Endes und schon fühlt man sich, wie am Ende eines zwangsläufigen Prozesses, mittels eines Fleischermessers erstochen und man stirbt da „wie ein Hund“ Das muss aber doch einfach gehen. Wie wäre es mit einem simplen Namenswechsel, der dann möglichst auch ein Identitätswechsel wäre, also etwas Neues jenseits des dort drüben verrottenden früheren ICH? Vielleicht nur die dritte Person Singular - ‘er – sie oder es’?

...

ULTIMA RATIO REGIS

Diesen (leicht abgeänderten) Spruch ließ der ex-Sklave und spätere Heerführer, Diktators und letztlich König (1811-20) Henri Ier Christophe von Haiti in die Kanonenrohre ätzen, die sein mächtiges Refugium Sans Soucis in den haitianischen Bergen gegen die Streitkräfte der französischen Kolonialherren verteidigen sollten. Die griffen aber zu Henris Lebenszeit nie an und so ruht das mächtige Fort noch jetzt hinter den sieben Bergen als halbvergessenes UNESCO-Welterbe- Schloß. Wäre das nicht das richtige Bild für den vergeblichen Widerstand gegen etwas, auf das sich garnicht mit Kanonen schießen lässt: das Alter, die ungreifbare Chimäre?


Juni - Oktober 09
Also DEMENZ oder was?

Alzheimer ist eine Krankheit, die, wie jeder bedeutende Gegenstand, auch Aussagen über anderes als nur über sich selbst macht. Menschliche Eigenschaften und gesellschaftliche Befindlichkeiten spiegeln sich in dieser Krankheit wie in einem Vergrößerungsglas. Für uns alle ist die Welt verwirrend, und wenn man es nüchtern betrachtet, besteht der Unterschied zwischen einem Gesunden und einem Kranken vor allem im Ausmaß der Fähigkeit, das Verwirrende an der Oberfläche zu kaschieren. Darunter tobt das Chaos. Auch für einen einigermaßen Gesunden ist die Ordnung im Kopf nur eine Fiktion des Verstandes. Uns Gesunden öffnet die Alzheimerkrankheit die Augen dafür, wie komplex die Fähigkeiten sind, die es braucht, um den Alltag zu meistern. Gleichzeitig ist Alzheimer ein Sinnbild für den Zustand unserer Gesellschaft. Der Überblick ist verloren gegangen, das verfügbare Wissen nicht mehr überschaubar, pausenlose Neuerungen erzeugen Orientierungsprobleme und Zukunftsängste. Von Alzheimer reden heißt, von der Krankheit des Jahrhunderts reden.
Arno GEIGER

Zunächst kurz: warum die Raffung der Gedanken in diesem Blog in ein- oder mehrmonatige Textlappen? Das Alter, liebe Leute, Es braucht natürlich immer etwas make belief, will man etwaigen Lesern etwas weismachen, was so eigentlich nicht stimmt. In der Wirklichkeit bin ich momentan bereits 75 Jahre alt, habe aber dennoch die feste Absicht, dieses Tagebuch eines Alters vom Alter 70 an zu führen und dies mindestens so lange, bis die zitternde Hand sich auf der Tastatur nicht mehr zurechtfindet - also lange wie möglich.


Zurück zur ALZHEIMERerkrankung: Wer hätte diese Seelenkrankheit besser beschreiben können, als es der Sohn in diesem Büchlein unter dem Titel Der alte König in seinem Exil tut. Der Österreicher zeichnet liebe- und verständnisvoll die letzte Etappe des Lebensweges seines Vaters nach, eines Weges, der zu einer Zeit begann, als es noch zahlreiche feste, ein geregeltes Gesellschaftsleben stützende Pfeiler gab (Familie, Religion, Machtstrukturen, Ideologien, Geschlechterrollen, Vaterland), und der in die Demenz mündete, als die gesellschaftliche Ordnung - zumindest die der entwickelten Staaten Europas - durch die verbrecherischen Aktionen der linken und rechten Diktaturen in ein Trümmerfeld jener alten Ordnung umgewandelt worden waren.

Weder Geiger, noch ich, noch irgendjemand mit 'gesundem' Verstand würde behaupten, dass jene 'ordentliche', vorchaotische Welt irgendwie vorbildlich gewesen wäre. Für einen großen Teil ihrer Menschheit war sie ebenso grausam und tödlich für zahllose ihrer Bewohner, wenn auch unter veränderten Umständen. Aber wenn schon die bloße Vorstellung bevorstehender oder teilweise bereits eingetretener (und nur die von Menschen verursachten) Apokalypsen (Ruanda - Irak - Mexiko und andere) die Menschen verrückt machen kann, wie überlebt ein Individuum in einer persönlichen Hölle, deren Trümmer ihm irgendwann und später vielleicht immer wieder um die Ohren fliegen? Über 50 Millionen Flüchtlinge auf der ganzen Welt, von denen tausende tagtäglich krepieren, durch Gewalt oder Krankheiten oder Verhungern und Verdursten - man könnte ohne Ende die 'Menschenopfer' aufzählen, die wir unseren eigenen Lastern, unserer Gier nach Macht und Reichtum bringen.

Und schon immer gebracht haben! Die 'Opfer' von heute sind doch nur die Blutsverwandten der Opfer von damals, die solche wie Büchner, Grimmelshausen, Strindberg, Kafka und viele andere zu allen Zeiten beschrieben haben. Ist nicht von allem Anfang an die Menschheit immer wieder an ihrem eigenen Blut fast erstickt? Immer waren es doch die Einzelnen, zumeist unbesungen von Schriftstellern, denen die Welt schon so früh um die Ohren geflogen ist, dass sie sich nicht mal mehr an die Schatten ihrer Traumata erinnern können. Den Kindern vor allem wurden Wunden zugefügt, die sie zu jener Zeit nicht einmal bemerkten und die inzwischen völlig vernarbt waren. Lange Zeit existierten sie nicht, etzt sind sie plötzlich da, überall findet man sie, die Kriegskinder', überall zwischen Europa, Vietnam und Ruanda, in der ganzen weiten Welt und zu jeder Zeit.

Das ist dann wie eine Seuchenerkrankung, mit der sich auch hierzulande viele alte Menschen plagen müssen, traumatische Welterfahrung des Kindes, die sich erst im Alter löst, so etwas wie das Magma der Seele, das ein Leben lang irgendwo da unten brodelte und erst jetzt an die Oberfläche ihres Lebens tritt. Die erschütterndste Erfahrung ist nicht, zu sehen, wie in aller Welt Menschen exekutiert oder zerfetzt oder verwundet abtransportiert werden. Nein, viel schlimmer ist es, in die Augen von Kindern zu blicken, die durch die Hölle gegangen sind. Alle Kinder haben doch große Augen, die sich eigentlich in natürlicher Neugier weit den Schönheiten dieser Welt öffnen und sich mit ihnen füllen sollten. Aber die Augen der Kinder im Nahen Osten sind Augen voller Schrecken und Misstrauen und Trauer und sind schon der Welt müde. Diese Augen haben die Zerstörung ihrer Häuser, die Ermordung von Freunden und Verwandten und schreckliche Szenen von Blut und zerfetzten Körpern aufnehmen müssen. Wenn sie jetzt die Augen schließen könnten und als Erwachsene wieder öffnen würden, was würden sie sehen? Eine von ihrer Angst zerfetzte Wirklichkeit, nichts anderes. Und nichts, aber garnichts von dem, was ihre Augen sähen, würden sie mit Vertrauen sehen können. Immer wieder würden sie den Blick abwenden müssen und sich inständig wünschen, den Horror vergessen zu können, der sie damals schon vergiftet hat.

Vielleicht ist es also so, dass sich mens, der Geist des Traumatisierten, sich eigentlich schon zur Zeit seiner frühen Verletzung von einer ihm gänzlich unerträglichen Wirklichkeit abwandte, sich gleichsam abkoppelte, sie de-mentierte - krümmen sich da gerade Etymologen? - und sich aus eigener Kraft eine neue, völlig in sich geschlossene und verkapselte Wirklichkeit erschuf, zu der von außen niemand und nichts mehr Zugang hatte? "Wo bist du denn jetzt schon wieder mit deinen Gedanken?" - nichts wurde mir damals von Lehrern, Eltern oder anderen Erwachsenen entgegen geschleudert, wenn ich wieder einmal in mich versunken war.

Wenn es dem Kind schon möglich war, so völlig in eine virtuelle, eine Traumwelt einzutauchen, kann da nicht später, aus der Flucht vor einem untragbaren Leben nicht ein endgültiges Eintauchen werden? Im weichen Ufergras liegend sieht man 'den Strom des realen Lebens' an sich vorüberziehen, der mit sich führt all den Schmutz, das Treibgut, all die Verunreinigungen des Lebens.

Natürlich können Arthur O'Shaughnessys "dreamers of dreams ... sitting by desolate streams" wohl in zwei Welten gleichzeitig leben, aber gedeihen werden sie nur in einer von ihnen. Wenn es also nicht diese 'reale' Welt ist, dann muss es die der Träume sein, der sich der 'mens' zuwendet und in die er eintaucht. Der Prozess des Übergangs - es gibt nur die eine Richtung, von der 'Realität' in die 'Traumwelt' - ist schmerzhaft, weil es sich, im Unterschied zu dem nach außen gewendeten 'deus ex machina' bei den Alten (Shakespeare, Calderon, selbst Grillparzer) heutzutage, seit der Entdeckung der Psychiatrie, um einen inneren Vorgang handelt, dessen Qualen nicht sichtbar werden können. Viele von uns - ich benutze diese Gelegenheit, um mich selber als einer von ihnen zu "outen", wie es heute heißt - leiden ein Leben lang daran und wissen's zumeist nicht.

Verfolgt man, wie unverweigerlich der Vater von Arno Geiger auf das Schwarze Loch, seines Lebensendes zustrebt, dann spürt man bei dem Sohn sehr stark die existentielle Verwirrung, die Trauer, den Schmerz, aber auch eine Art sanfter Melancholie, die die Unterhaltungen zwischen Sohn und Vater nicht selten in gelassene Heiterkeit, selbst beim Abschiednehmen, färbt. Man spürt, hier wandern zwei auf einem sehr schmalen Grat zwischen zwei Welten nebeneinander und finden dennoch oft eine tiefe Übereinstimmung miteinander, in der Traum- und Realwelt sich kaum voneinander unterscheiden.

Und immer, selbst im Zustand tiefster Verzweiflung, in dem der Tod die Seele dieses Menschen Bissen um Bissen zu verspeisen scheint, selbst da zeigt sich tröstlich, wie Leiden, alles Leiden, aufgelöst werden kann durch die Zuneigung, die Liebe des anderen.

So ist es doch auch in vielen Mythen und großen Werken der Weltliteratur. Was wäre denn wohl aus dem dementen Don Quixote geworden, hätte nicht ein ganz einfacher Mensch namens Sancho Pansa, ein Realo, dieses derangierte, dieses völlig 'verrückte' Heldenleben in seine Hände genommen und zärtlich einem versöhnlichen Ende zugetragen.

Auch das ist also Demenz: der Geist eines Menschen löst sich allmählich - zum Beispiel durch das Lesen zu vieler Ritterromane - aber auf jeden Fall unumkehrbar, von dem ab, was man gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnet. Niemand bemerkt es so recht, er oder sie schon garnicht. Ein unaufhaltsamer Prozess.

Aber wieso Demenz sprechend, wenn doch kein Argument sie aufhalten könnte? Eine Demenz, die sprechen, vielleicht argumentieren kann? Eine etwas weit hergeholte Metapher, nicht wahr? Immerhin geht es um ein Leiden, das sich, in den Worten einer traurigen Dichterin, in den „schwarzen Mantel des Schweigens“ hüllt.
Da ich nun selber lange Zeit mit dieser „Krankheit der dunklen Schatten“ auf vertrautem Fuße stand, glaube ich zu wissen, dass Depressionen mit Recht als eindeutige Vorläufer und vielleicht sogar direkte Verursacher von Demenz zu sehen sind. Und wenn man weiß, wie unabwendbar Depressionen einen Menschen, wenn auch manchmal nur temporär, in den Wahnsinn treiben können, dann fragt sich doch, ob so etwas wie Demenz überhaupt noch ein „Altern in Würde“ erlaubt? Der scharfe Philosoph Shakespeare beschreibt das ja auch nicht gerade sehr schmeichelhaft:

So spielt sein Leben jeglicher Mensch. Man schlufft
durchs sechste Alter in Pantoffeln wie’n Hanswurst
bebrillt, mit Herrentäschchen an der Seite
und jugendlich gekleidet in schlabberige Jeans
denen dürres Gebein entragt; die Stimme,
einst tief und männlich kraftvoll, wird erneut
zum kindlichen Diskant, piepsend und krächzend
Und schließlich naht das Ende dann heran,
das Ende dieser abenteuerlichen Eskapade.
Sie mündet in zweite Kindheit und Demenz.
So ist denn das des Menschen endlich Los:
Zähne und Augen los, dann auch die Zunge los,
und schließlich gar das Leben los.
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